Ein Laufradunfall in der Fußgängerzone

Wann Kleinkinder besser nicht mit dem Laufrad in der Fußgängerzone fahren sollten.

Zu seinem zweiten Geburtstag bekommt Valentin ein Rad ohne Treteinrichtung für Kleinkinder (Laufrad) geschenkt, etwa zwei Monate später kann Valentin mit seinem Laufrad schon einigermaßen gut fahren. An einem Frühlingstag ist der zweijährige Valentin nun mit seinen Eltern und Großeltern in der Fußgängerzone der Innenstadt unterwegs. Das Wetter ist schön und sonnig, die Fußgängerzone ist einigermaßen bevölkert.

Im Bereich eines in der Fußgängerzone gelegenen Platzes plaudern Mutter und Großmutter miteinander, während der Vater in einer Eisdiele einen Espresso trinkt. Valentin tourt am Platz mit seinem Laufrad herum und wird von seinem Großvater begleitet. Der Großvater hat Valentin im Blickfeld, sein Abstand zu ihm wechselt in einer Bandbreite zwischen drei und sechs Metern. Mit dem Laufrad erreicht Valentin eine Geschwindigkeit von etwas über Gehgeschwindigkeit, nicht immer hält er jedoch eine gerade Fahrlinie. Manchmal weichen Fußgänger Valentin durch einen Schritt auf die Seite aus, manchmal weicht Valentin den Fußgängern aus. Es passiert aber nichts, was dem beaufsichtigenden Großvater subjektiv besorgniserregend vorkommen würde.

Schließlich nähert sich eine 80-jährige Dame mit langsamer Gehgeschwindigkeit an Valentin heran. Die ältere Dame kann mit dem rechten Auge nur ganz „trüb“ Personen wahrnehmen, hat mit dem linken Auge aber grundsätzlich keine Sehprobleme. Der Großvater denkt sich, dass die ältere Dame entweder Valentin ausweichen oder vor Valentin stehen bleiben würde. Es kommt anders: Die Gehlinie der älteren Dame und Valentins Fahrlinie kreuzen sich, wodurch die ältere Dame und Valentin zusammenstoßen. Dabei erleidet die ältere Dame unter anderem einen Speichenbruch der rechten Hand und Rissquetschwunden im rechten Kniegelenk. Der genaue Hergang der Kollision lässt sich im Nachhinein nicht mehr feststellen.

Müssen Valentins Eltern gegenüber der älteren Dame nun für die Schäden und Folgen aus diesem Unfall haften, weil sie Valentin vielleicht nicht ausreichend beaufsichtigt haben? Das bejahte der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 22.1.2014 zur Geschäftszahl 2 Ob 243/13v. Die wesentliche rechtliche Begründung: Das Befahren einer Fußgängerzone mit fahrzeugähnlichem Kinderspielzeug und ähnlichen Bewegungsmitteln wie zum Beispiel Laufrädern sei zwar nicht generell verboten, jedoch dürfen der Verkehr oder Fußgänger nicht gefährdet oder behindert werden. Da in der bevölkerten Fußgängerzone schon vor dem Unfall so manche Fußgänger Valentin ausweichen hätten müssen, sei mit der Laufradbenutzung ein Gefährdungspotenzial erkennbar gewesen. Und deshalb hätten die Eltern in diesem Einzelfall gleich von Vornherein besser darauf achten sollen, dass Valentin überhaupt gar nicht erst mit seinem Laufrad in der Fußgängerzone fährt.

Vor diesem Hintergrund sind die aufsichtspflichtigen Eltern gegenüber der älteren Dame schadenersatzpflichtig. Über die Höhe der dem Grunde nach bestehenden Haftung wurde vom Obersten Gerichtshof allerdings noch nicht abgesprochen, weil die Höhe erst im weiteren Verfahren näher geklärt wird. Die ältere Dame fordert von den Eltern eine Zahlung über rund Euro 45.000 sowie eine monatliche Rente über rund Euro 660. Am Ende könnte das also ein teurer Laufradunfall werden.

Fazit: Kleinkindern ist es grundsätzlich erlaubt, mit Laufrädern in einer Fußgängerzone zu fahren. Das gilt aber nur solange, als von der Laufradbenutzung kein Gefährdungspotenzial für insbesondere andere Fußgänger ausgeht. Wann ein solches Gefährdungspotenzial erreicht wird, hängt von den besonderen Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab. Diesbezüglich wird eine Laufradbenutzung durch ein Kleinkind vor allem dann umso eher gestattet sein, je mehr Raum in einer Fußgängerzone vorhanden ist, je weniger Leute in einer Fußgängerzone unterwegs sind und je besser das Kleinkind sein Laufrad unter Kontrolle halten kann. Spätestens dann, wenn sich während der Benutzung des Laufrads Anhaltspunkte für heikle Situationen ergeben oder solche Situationen tatsächlich eintreten, sollte das Kleinkind aber jedenfalls von seinem Laufrad absteigen. Manchmal können nämlich auch Kleinkinder für die Allgemeinheit durchaus gefährlich sein.

Siehe dazu insbesondere:

  • OGH 22.1.2014, 2 Ob 243/13v.
  • RIS-Justiz RS0129284.
  • RIS-Justiz RS0124214.
  • RIS-Justiz RS0124213.